Materialsammlung Ethik

Philosophie und Anime: Prinzessin Mononoke

Hayao Miyazakis Meisterwerk ist ein zeitloser Klassiker, der auch angesichts des Klimawandels und der aktuellen Umweltbewegungen an Aktualität keineswegs verloren hat.

Was ist das denn, dieses Anime?

Vielleicht ein kurzer Einstieg für diejenigen, die das hier lesen und keine Ahnung haben, was Anime ist. Anime sind japanische Animationsserien. Wer jetzt denkt, das ist sowas wie Cartoons, der kann das für sich zwar gerne in dieser Kategorie einsortieren. In der richtigen Gesellschaft sollte man mit einer solchen Äußerung aber vorsichtig sein.

Ist das nicht was für Kinder?

Ja und nein.

Japan besitzt die weltweit umfangreichste Zeichentrickfilmkultur. Was hierzulande oft als Kinderserie verstanden wird, ist in Japan auch ein Konsumgut, das erwachsene Menschen regelmäßig und mit großem Interesse verfolgen. Dementsprechend werden thematisch alle Altersgruppen bedient, von jung bist alt.

Nicht alle Anime sind tiefgründig. Das sind ja auch nicht alle Bücher. Aber es gibt eben Serien, die sich inhaltlich wunderbar im Unterricht einsetzen ließen, insbesondere, weil man darin eben philosophische Themen wiederentdecken kann.

Prinzessin Mononoke

Nachdem das Dorf des Prinzen Ashitaka von einem Dämon angegriffen wird, erleidet dieser eine verfluchte, todbringende Wunde. Nach dem Tod der Kreatur, entpuppt sich diese als die durch Hass verfluchte Wildschweingottheit Nago eines Waldes im Westen des Landes. Um sich seinem Schicksal entgegenzustellen, begibt sich Ashitaka auf eine Reise, um den Ursprung dieses Fluches ausfindig zu machen. Die Begegnung mit dem Waldgott, der lebensbedrohliche Wunden heilen kann, könnte ihn retten.

Er reist dazu in das Land von Nago, aus dem der Keiler durch Menschen und ihre Schusswaffen vertrieben wurde. Ashitaka lernt die fortschrittsorientierte Herrin Eboshi kenen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Wald als Rohstoffquelle zu nutzen, um ihr Eisenwerk zu betreiben.
Der Wald aber wehrt sich: die Wolfsgöttin Moro und deren menschliche Tochter, die von ihr aufgezogen wurde, sowie die übrigen Tiere und Waldgötter kämpfen erbittert gegen Eboshi und ihre Gefolgschaft.

Ashikata gerät dabei zwischen die Fronten, während der Fluch des Hasses, der auf ihm lastet, sich durch seinen Körper und seine Knochen fressen soll.

Philosophische Aspekte in Prinzessin Mononoke

  1. Konfrontation mit einer anderen Religion: der Shintoismus
    In einer von einem monotheistischen Glauben geprägten Kultur, erscheint der Shintoismus zunächst fremd. Gerade diese Fremdheitserfahrung ermöglicht aber einen neuen Zugang, eine neue Möglichkeit zum Lernen.
    Alle Filme Miyazakis sind höchst religiöse Werke, denn er baut Symbole aus dem Shinto künstlerisch in sie ein.

    Das Fundament des Shintoismus ist der Respekt vor dem Leben an sich und damit eingeschlossenen allen Lebewesen. Ashitaka verkörpert genau das in all seinem Handeln. Er betont, wie eng die spirituelle Welt der Götter mit der Menschenwelt eigentlich verbunden ist. Zur selben Zeit porträtiert der Film, dass sich dieses traditionelle Denken durch die Modernisierung mehr und mehr zerschlagen hat. Der mangelnde Respekt vor dem Leben als Ganzes wird in den Konflikten des Films deutlich. Und genau diesen kann man auch in die Jetztzeit übertragen. Wie weit haben wir uns bereits von der Natur entfernt?

    Weitaus auffälliger ist natürlich die Sache mit den unterschiedlichen Gottheiten und die Darstellung von Dämonen als deren Gegenbild. In einer Religion, die die Achtung alles Lebenden fordert, scheint es nicht verwunderlich, dass auch entsprechend allen Lebewesen ein göttlicher Charakter zugerechnet werden kann. Selbst den Bäumen, in Mononoke verkörpert durch die kleinen Baumgeister. Die Natur ist ein Heiligtum, das der Mensch zu schätzen verlernt hat. Dabei ist sie eine heilige Stätte, die zu Reinheit verhelfen kann.
  2. Mensch gegen Natur: Über die Veratwortungsethik
    Wie in vielen Filmen von Miyazaki verdient auch die Naturdarstellung hier ein besonderes Augenmerk. Die Kritik wird deutlich, auch wenn wir uns in einer altertümlichen Welt wiederfinden. Der Mensch, dessen Techniken sich weiterentwickeln, greift in die Natur ein und beutet sie durch den Abbau von Erz und Holz aus, ohne Rücksicht auf die ökologischen Folgen.
    Miyazaki greift meines Erachtens auch damals schon die Fragen auf, die heute Fridays-for-Future-Aktivisten oder andere Klimaaktivisten umtreiben: Wie gehen wir mit unserer Umwelt um? Verlieren wir die Achtung vor und damit auch immer mehr den Bezug zu ihr?

    Philosophische Ansätze, die hier sicherlich denkbar sind: Jonas Verantwortungsethik genauso wie Rosas Resonanz. Gerade Jonas‘ Kritik an Technik und Industrie ist schon in Prinzessin Mononoke ganz deutlich zu sehen. Und es wird auch deutlich: Wenn weiter rücksichtslos ausgebeutet wird, steht die Zukunft der Welt als Ganzes – die von Menschen, Natur und Göttern – auf dem Spiel.

    „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.“
    Genau diesem Grundsatz scheint Ashitaka zu folgen, wenn er sich eben nicht für eine der Seiten entscheidet, sondern stattdessen versucht, für Einheit zu sorgen: für ein Miteinander zwischen Wald und Mensch.
  3. Kein Denken in schwarz und weiß
    Das Schöne an diesem Film ist: Wie auch Ashitaka, lernt der Zuschauer beide Seiten kennen.

    Wir erfahren die Umstände des Waldes und dessen Bewohner, die ihres Lebensraums beraubt werden. Es wird deutlich, dass die Natur durch den Erzabbau leidet und dass die Tiere, durch die Macht der Schusswaffen, keinerlei Möglichkeit mehr besitzen, sich ausreichend zur Wehr zu setzen. Der Mensch ist das Feindbild – ganz gleich, welche Absichten einzelne Individuen in ihrem Herzen tragen. Auch Mononoke selbst, die mit den Wölfen lebt und von ihnen aufgezogen wurde, ist nicht bei allen Tieren willkommen und akzeptiert. Denn auch sie verkörpert als Mensch deren Feindbild. Und Moro, die Wolfsgöttin, die die Menschen von ganzem Herzen hasst, hat trotzdem ein Menschenkind aufgezogen und liebt es wie ihr eigenes.

    Aber wir erfahren auch die Umstände des Eisenwerks. Wir lernen die Bewohner des dazugehörigen Dorfes kennen. Eboshi ist nicht nur die Herrin, sondern sie ist auch eine Wohltäterin: Sie gibt den Frauen Arbeit und Rechte, kauft sie aus Bordellen anderer Städte frei; sie sorgt für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger und sie kümmert sich auch um die Kranken und Aussätzigen. An der Art und Weise, wie die Figuren im Film über sie sprechen, kommt man nicht drumrum, ebenfalls Sympathien für sie zu entwickeln. Eboshi verhalf einer ganzen Reihe von Menschen zu Wohlstand – fraglich ist selbstverständlich, auf welchem Weg dies geschah.

    Gleichsam wie schlimm die Vernichtung des Waldes dargestellt wird und wie hart das natürliche Gleichgewicht gestört ist, vermag es der Zuschauer nur schwer, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden.
    Und genau wie Ashitaka verweilt auch der Zuschauer so zwischen den Fronten.
  4. Ashitaka als eine Art Messias-Figur
    Diesen Gedanken habe ich in der Sekundärliteratur gelesen und fand ihn sehr spannend.
    Ashitaka ist ein besonderer Protagonist, weil er zwischen den Fronten steht, ohne sich für eine Seite zu entscheiden. Bereits zu Beginn des Films verkündet er das idealistische Ziel, „die Wahrheit – trotz des Hasses – mit ungetrübten Augen zu sehen.“ Selbstlos predigt er von Frieden und setzt sich für ein Miteinander ein.

    Er ist sowohl für den Wald als auch für Eboshi und ihr Gefolge eine Heilsfigur, denn er rettet beide Welten und schafft es, sie im Ende zu vereinen. Sowohl Mononoke als auch Eboshi werden geläutert und erkennen ihre Fehler an. Selbst der Waldgott erweist ihm im Laufe des Plots Gnade, in dem er ihm gleich zwei Mal das Leben rettet. Ashitaka ist ein selbstloser Retter und vollbringt Wunder durch unvorstellbare Kraft und kämpft fast schon mit dämonischer Kraft, wenn es sein muss.
    Auch wenn Ashitaka mit vielen Fähigkeiten ausgestattet ist, die ihn besonders machen, ist und bleibt er ein Mensch und somit verletzlich. Er ist durch göttliche Gnaden berührt, aber wird selbst nicht zum Gott. Er wandelt zwischen beiden Welten, vereint Stärken und Schwächen in seiner Person. Dies gleicht die übermenschlichen Fähigkeiten aus. Ashitaka fällt es schwer, zu kämpfen und zu töten, da es zuwider seiner eigentlichen Natur läuft. Gleichsam ist es genau das, was es im Laufe des Geschichte braucht, wenn auch aus Notwehr.

    Ashitaka ist also ein höchst moralischer Charakter, der sich seinem eigenen Kodex mit jeder Faser seines Körpers verpflichtet fühlt. Genau deshalb kämpft er auch gegen den Hass im Allgemeinen, nicht gegen einzelne Parteien.

Prinzessin Mononoke in den Unterricht!

Prinzessin Mononoke hat viele Schichten, die es zu entdecken gibt. Angesichts seiner Länge bietet sich eine Auseinandersetzung damit vermutlich mehr in Eigenarbeit durch die Schüler*innen an (z. B. in der Facharbeit) – oder als Film in den Vorferienwochen, mit entsprechenden Beobachtungsaufträgen.